Ein Pärchen auf dem Weg ins türkische Side steigt versehentlich in den Flieger ins ägyptische Hurghada
Manchmal schreibt das Leben Geschichten, die paradox und rührend zugleich sind. Über Pannen, die technisch unmöglich scheinen, und eine junge Liebe im reiferen Alter. Wie die des älteren Pärchens aus Bergkamen in Nordrhein-Westfalen, das seit ein paar Stunden im Flugzeug der Sun Express saß und den Sitznachbarn vom bevorstehenden Urlaub in der Türkei vorschwärmte. „Wieso Türkei“, sagte der Gesprächspartner irritiert, „wir fliegen nach Ägypten.“
Türkei oder Ägypten?
Es sind Momente wie diese, in denen sich mitunter paradoxe Gespräche entspinnen. Hildegard S. und ihr Lebenspartner Erhard W. flachsten mit dem jungen Mann, der sie offensichtlich hochnehmen wollte, ein paarmal hin und her, amüsierten sich über seinen skurrilen Humor und wurden erst unruhig, als der Mann hartnäckig blieb: „Wir fliegen nach Hurghada.“
Um dem vermeintlichen Unsinn ein Ende zu bereiten, rief das Pärchen die Stewardess. Doch es blieb dabei: Anstatt über Ephesus zu fliegen und ihren Pauschalurlaub am Strand von Side zu verbringen, überquerten die Rentner nun Kairo, die Pyramiden von Gizeh und füllten die Einreisekarten für die Ankunft am Roten Meer aus.
Bei der Besatzung des Sun-Express-Fluges lösten die „Blinden Passagiere“ allerdings eine gewisse Unruhe aus. „So etwas habe ich noch nie erlebt“, meinte der Kapitän, der zunächst auch nicht wusste, wie er mit den ungeplanten Fluggästen umgehen sollte. Nur einer blieb cool: Erhard W. Der 68jährige lächelt verschmitzt, wenn er an den Flug zurückdenkt. „Ich war ziemlich gespannt, was jetzt passieren wird. Für mich war das ein kleines Abenteuer und ich hätte nie gedacht, dass so etwas heute noch möglich ist. Außerdem bin ich ja das erste Mal überhaupt geflogen.“
Trotzdem hätte sich der gesundheitlich angeschlagene Rentner auf eine baldige Ruhepause und ein Hotelbett gefreut. In Hurghada war er schließlich noch nie gewesen und inzwischen seit 3 Uhr morgens auf den Beinen. Doch nach einigen hektischen Telefonaten zwischen der Besatzung und dem Reiseveranstalter stand fest: Die beiden Senioren mussten im Flugzeug bleiben und gleich wieder zurück nach Deutschland fliegen. Zehn Stunden nach dem Start in Hannover war das Pärchen wieder dort, wo es schon um 6 Uhr morgens gewesen war: In der Schalterhalle des Flughafens Hannover.
Noch immer kein Klagen, keine Beschwerden. Aber über das angebotene Hotelzimmer waren die beiden Niedersachsen dann doch richtig froh. Und darüber, dass gleich zwei Mitarbeiter des Veranstalters ihre Koffer trugen und sie mit aufs Zimmer begleiteten.
Falsche Bordkarten
Inzwischen war auch klar, wo der Fehler gelegen war. Die Beiden, bestätigt Tui-Pressesprecherin Kathrin Spichala, hatten zwar Tickets für den Türkei-Flug, erhielten aber nach längeren Diskussionen über ein zusätzliches Handgepäckstück, das medizinische Hilfsmittel enthielt, irrtümlich Bordkarten für den Ägypten-Flug ausgehändigt. Da der Hurghada-Flieger früher startete als der in die Türkei hatte das Bodenpersonal schon während der Diskussion über das Handgepäck zur Eile gedrängt. „Sie müssen sich beeilen. Es geht gleich los!“, erzählt Hildegard S. von einem aufregenden Einsteigen in das Flugzeug, bei dem sie zwar auf das Gate, aber in der Hektik nicht mehr auf die Anzeige am Flugsteig geachtet hätte. Und außerdem: Wer geht schon davon aus, ins falsche Flugzeug gelassen zu werden?
Am Tag danach waren die beiden Rentner erleichtert, nach der Hotelnacht in Hannover nun tatsächlich nach Antalya zu fliegen. Dass der Start um 6 Uhr morgens war, ließ sie ebenso kalt wie der Umstand, dass in der Türkei dann ein Koffer fehlte und ein zweiter beschädigt war.
Wichtig war für die beiden nur, auf ihrer ersten gemeinsamen Flugreise zu sein. Denn diese Geschichte ist nicht nur die Geschichte eines kuriosen Irrfluges, sondern auch die einer großen Liebe.
Neue Liebe, erster Irrflug
Erst vor einem Jahr hatten sich der damals tieftraurige 68jährige Witwer und die ebenfalls inzwischen alleinstehende gleichaltrige Frau kennengelernt. „Er ist so wunderbar“, schwärmt sie und schaut ihm in die Augen: „Er schafft es, mich immer wieder zum Lachen zu bringen.“ Und ihr neuer Lebenspartner hat in den vergangenen zwölf Monaten nicht nur eine Krebserkrankung hinter sich gelassen, sondern durch die quirlige und lebensfrohe neue Gefährtin auch seine schweren Depressionen überwunden. Das pure Glück strahlen die beiden aus, als sie endlich Arm in Arm am Strand von Side stehen und den Sonnenuntergang genießen.
Es waren viele Umwege durch fast ein ganzes Leben, die sie zueinander führten. Kein Wunder, dass sie sich von dem kleinen Abstecher nach Hurghada nicht erschüttern ließen.